24 Stunden zwischen Mbanderus - Die "Green Flag" Prozession in Okahandja

Schon auf unseren letzten Reisen haben die Herero-Frauen in ihren farbenprächtigen Kleidern unser Interesse geweckt. Die traditionellen Kleider, die von den verheirateten Frauen getragen werden, bestehend aus sieben Röcken (aus etwa 12 Metern Stoff), sind meist aus bunten Stoffen mit verschiedensten Mustern genäht. Zu dem Kleid gehört auch ein Hut aus gleichem Stoff, der zwei Spitzen nach links und rechts vorne aufweist - die Spitzen werden gerne als Schattenspender für das Gesicht in der Sonne verwendet. Diese Kleider sind angelehnt an die deutsche Tracht zur Kaiserzeit - die damaligen Kolonialherren fanden es weniger schick nackt herumzulaufen - und sind mit Veränderungen bis heute wichtiger Bestandteil der Herero-Tradition. Beim Studium der Reiseführer sind wir auf den Hinweis gestoßen, daß in Okahandja, nördlich von Windhoek, jährlich zwei große Prozessionen dieser Volksgruppe (der größten Namibias) statt finden. Die Größere der beiden im August (25.08.02) - hier ehren die Hereros ihre verstorbenen Häuptlinge, die kleinere im Juni - zu dieser Zeit ehren die Mbanderus, eine Untergruppe der Hereros, ihren Häuptling. Da wir nicht zu weit weg waren, haben wir unsere Reiseroute so gewählt, daß wir am Wochenende des 15. Juni in Okahandja waren - zur "Green Flag" Prozession.

Samstag, 15. Juni 2002: Gegen Mittag kommen wir in Okahandja an. Wir durchkreuzen die Stadt auf der Suche nach der Prozession, aber kein Zeichen deutet auf eine größere Veranstaltung hin. Nachdem wir den genauen Veranstaltungort bisher nicht in Erfahrung bringen konnten, fragen wir in der Polizeistation nach: "Ach, die Prozession am Stadtrand - ich hab' schon einige dorthin gehen sehen. Am östlichen Stadtrand ist eine große Wiese, da stehen schon einige Zelte. Da ist es!".
Neugierig machen wir uns auf den Weg und finden auch schnell die besagte Wiese. Etwa 15 Zelte, diskutierende Männer und Frauen, die im Topf über dem Feuer kochen.
Wir suchen jemanden, der uns etwas genaueres über den Ablauf und das ganze "Drum Herum" sagen kann - und wir treffen Forest. Er klärt uns gerne über die Zeremonien auf und erklärt uns als erstes das Begrüssungsritual, dem sich jeder Neuankömmling unterzieht, um auf der Veranstaltung willkommen zu sein.
Dazu werden wir zum heiligen Feur gebeten, auf dem richtigen Weg um ein Dreieck aus Steinen. Auf diesem Weg darf nicht gesprochen werden. Am Feuer sitzen fünf alte Männer, die die Begrüssung durchführen dürfen. Sie heissen uns willkommen und erklären auf englisch was gleich auf uns zukommen wird: um an dieser jährlichen Feier teilnehmen zu dürfen, müssen wir gereinigt und "gesund" sein.
Zuerst werden wir mit Wasser begossen. Dieses Wasser spuckt einer der "Heiler" über uns (das Gesicht nicht verbergen!). Danach, zieht ein zweiter Heiler an unseren Fingern der linken Hand, bis ein Finger knackt. Das ist das Zeichen (der Ahnen), daß wir in Ordnung sind. Glücklicherweise lassen sich unsere Finger nicht lange bitten und wir sind aufgenommen und eingeladen, am Feuer Platz zu nehmen. Wir dürfen bleiben.
Die, deren Finger nicht knacken wollen, müssen eine Heilungsprozedur über sich ergehen lassen: Sie müssen dreimal zwischen den Beinen eines Heilers durchkriechen (wobei dieser sie von oben drückt) damit die Krankheit bzw. der böse Geist aus ihrem Körper weicht. Danach sind auch sie gereinigt und dürfen an der Feier teilnehmen.
Jetzt dürfen wir mehr über das Volk und seine Bräuche erfahren. Forest verspricht uns, so viel er weis zu erzählen, und wenn möglich andere Leute zu bitten, uns ihr Wissen mitzuteilen.
Das Volk der Herero gliedert sich in drei große Untergruppen: die Hereros sind unter der roten Farbe vereinigt - die "Red Flag Hereros"; die Mbanderus vereinigen sich unter der grünen Farbe - die "Green Flag Hereros"; die Zhimbas sind unter der weißen Farbe vereint - die "White Flag Hereros". Die drei Farben sind entsprechen der Volksgröße genannt, zu letzteren zählen auch die Himbas aus dem Nordwesten des Landes. Uns wird jetzt auch klar, wieso dies die "Green Flag Prozession" ist: Die Mbanderus, zweitgrößte Volksgruppe, feiert ihren ehemaligen Häuptling Kahimenua Nguvauva, der am 13. Juni 1896 von den deutschen Schutztruppen hingerichtet wurde. Er führte den Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht an.
Die Prozession findet erst am Sonntag statt, aber schon am Samstag reisen viele Teilnehmer an - erwartet werden etwa zwei tausend Hereros aus allen Ecken Namibias und sogar aus Botswana. Die reicheren kommen mit der Großfamilie im schicken Pickup, die ärmeren steigen von der Ladefläche eines Lastwagens, der eine große Gruppe aus einem Landesteil bringt. Die Teilnehmer schlagen ihre Zelte auf und versammeln sich um die verschiedenen Feuer, die inzwischen schon brennen. Brennholz wurde schon vorher von den Organisatoren gesammelt und wird gleichmässig zwischen den Lagern aufgeteilt.
Ausserdem wird nochmals für das Spektakel morgen geübt: Am auffälligsten sind dabei die Truppen , deren Marschrhytmus über den Platz klingt. Auch wenn die Uniformen nicht wirklich "uni" sind und die Disziplin nicht ganz mit der einer "westlichen" Armee mithalten kann, ist der Wille der "Soldaten" doch deutlich zu spüren. Sie lassen nicht locker und marschieren Stunde für Stunde kreuz und quer über den kleinen Platz. Die Truppen formieren sich entweder von selbst als Gruppen von Freunden oder Gleichgesinnten, oder entstammen aus Schulen oder ähnlichen Vereinen. So sind auch verschiedenste Altersgruppen in den Truppen anzufinden.
Am Rande des Platzes üben noch die Sänger und Tänzer die traditionellen Tänze. Etwa zehn Frauen - gekleidet in die grünen traditionellen Kleider - stehen im Kreis um eine Vorsängerin. Diese erzählt im Sprechgesang eine Geschichte und die herumstehenden Frauen klatschen dazu und wiederholen den Refrain. Die herumstehenden Hereros lauschen den Geschichten und lachen - schade, daß wir die Sprache nicht verstehen!
Aus der Ferne beobachtet eine Abordnung der großen Chiefs der Herero das bunte Treiben kritisch - auf provisorischen Stühlen im Schatten des einzigen großen Baums.
Wir kriegen die Erlaubnis diese Nacht bei den Mbanderus zu bleiben, um rechtzeitig am nächsten morgen um sechs Uhr dabeizusein, wenn das eigentliche Fest losgeht. Wir versuchen, unser Auto möglichst unauffällig zwischen die anderen zu parken, warten aber mit dem Aufbau unseres Dachzeltes - hier das einzige - doch lieber bis nach dem Sonnenuntergang.
Wie üblich kochen wir auf unserem kleinen Feuer - wir haben zwei Holzstämme geschenkt bekommen - aber heute bekommen wir oft Besuch. Viele Neugierige, die einfach nur "Hello" sagen, oder Kinder die mit uns über die Fußballweltmeisterschaft diskutieren wollen (Frankreich ist raus, Deutschland der große Favorit!).
Spät gehen wir zu Bett. Die ganze Nacht noch hören wir die Kommandos der Truppen und die monotonen Gesänge und das rhytmische Klatschen und Stampfen, wenn die Sänger ihre unglaublichen Geschitchten erzählen.

Sonntag, 15. Juni 2002: Gegen sechs Uhr morgens, nach einer sehr kurzen Ruhepause, erwacht das Lager zum Leben. Trotz der kleinen Augen formieren sich die ersten Truppen, das Volk versammelt sich. Eineinhalb Stunden später kann die Prozession beginnen. Später als angekündigt, aber aus wichtigem Grund: Die Herero leben nicht nach der Uhr sondern nach der Tradition. Und diese sagt, daß vor Sonnenaufgang nichts begonnen werden darf!
Die Chiefs fahren im Auto voraus, dann folgen die Truppen, dann die Frauen in den bunten Kleidern. Alle machen sich auf den Weg, die Ahnen zu ehren. Am Schluß des Zuges folgen die "modern" gekleideten, weniger traditionellen Hereros und darunter auch wir, die einzigen Weißen in der Menge. Die Anführer leiten den Zug durch die Stadt zu einem kleinen Friedhof, der die Ruhestätte für Chief Kahimenua Nguvauva bildet und nur von bestimmten "oberen" Heilern geöffnet werden darf. Betritt jemand den Friedhof ohne dass dieser von einer authorisierten Person geöffnet wurde, so trifft ihn der Fluch der Verstorbenen, es könnte z.B. sein daß er die Sprache verliert!
Etwa einen Kilometer bewegt sich der singende und marschierende Troß, vor dem Friedhof erstummt die Menge. Auf dem Friedhof darf nur der Heiler, der auch den Friedhof geöffnet hat, laut reden. Alle anderen müssen schweigen oder flüstern. Einer nach dem anderen betritt den Friedhof, es bilden sich zwei lange Schlangen: in der rechten stehen die, die früher schon den Verstorbenen die Ehre erwiesen haben, in der linken die, die zum ersten Mal diesen heiligen Ort betreten - so auch wir. Am Grab des hingerichteten Helden werden wir wieder von dem Heiler empfangen und sind nach kurzer Ansprache und Handauflegen bereit, den Vorfahren zu ehren. Jeder legt seine Hand auf jedes der sechs Gräber im Friedhof oder legt einen Stein oder Sand darauf. Dadurch gehen - vielleicht - Wünsche in Erfüllung, die an die Verstorbenen herangetragen werden.
Nach diesen stillen Minuten trifft man sich wieder auf der anderen Seite des Friedhofs, und die Truppen beginnen sogleich wieder auf und ab zu marschieren. Nachdem alle den Friedhof verlassen haben, wird dieser wieder von dem berechtigten Heiler versperrt und der Marsch zurück beginnt. Drei Stunden nach dem Aufbruch sind wir wieder zurück am Camp und gönnen uns eine kurze Pause. War der Morgen doch ziemlich kalt, so steht inzwischen die Sonne hoch am Himmel und von der nächtlichen Kälte ist nichts mehr zu spüren.
Wir packen unsere Campingstühle aus und setzen uns in die Menge der Zuschauer, die sich inzwischen um einen Teil der "Festwiese" versammelt: Jetzt beginnt der Wettstreit der Truppen und Sänger. Nach erstaunlich kurzem Aufmarsch vor den Augen der Obrigkeit - in vorderster Reihe sitzt der Chief und die Anführer der erschiedenen Herero-Gruppen - beginnt der ernste Teil des Festes. Jeder, der etwas zu sagen, hat hier die Gelegenheit, sich kundzutun. Gute vier Stunden in der sengenden Sonne sind angesagt: Reden, unterbrochen von kurzen traditionellen Sprechgesängen, von Anführern, Ministern, Abgesandten. Auch wir wurden gefragt, ob wir eine Rede halten wollten - doch hielten wir uns dann höflicherweise zurück. Nicht alle Zuhörer halten so gut aus wie wir - aber es gibt bestimmt keinen, der den Platz am Ende so rot verlässt wie wir.
Zum Abschluß der Zeremonie hält der große Chief der Mbanderus King of the Ovambanderu Community Munjuku II Nguvauva seine Rede. Leider ist auch diese, wie die meisten der Reden in Herero, so daß wir auch hier nur raten können, was er gesprochen hat. Wahrscheinlich hat er seinem Volk ein schönes Jahr, bis zur nächsten "Green Flag Procession" gewünscht?!

Dieses Wochenende war für uns eine außergewöhnliche Erfahrung. Wir waren ganz in dieses große Volk und ihre Feierlichkeiten integriert. Wir wollen uns hier bei den Mbanderus bedanken, die uns so herzlich aufgenommen haben, vor allem auch bei Forest, der uns so vieles über sein Volk und dessen Brauchtum erzählt und die Gastfreundlichkeit der Herero eindrucksvoll demonstriert hat.